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Ein Buch, das mich wirklich nachhaltig beeindruckt hat, ist Bullshit von Harry G. Frankfurt. Auf dem Buchrücken erfahren wir: Es wird zu viel Bullshit geredet. Im Fernsehen. Auf der Straße. Im Bus. Bei der Arbeit. Allerdings würde ich diesen Satz eher als geschicktes Marketing einordnen, denn dem eigentlichen Inhalt wird er nicht unbedingt gerecht. Frankfurt liefert keine Abrechnung mit dummem Zeug, das die Leute reden. Sondern er analysiert philosophisch genau, was das Wesen des Bullshits ist.

Mit das Erstaunlichste ist, dass Bullshit eben nicht irgendetwas Dahergeredetes ist, sondern genau anders herum: Bullshit ist sorgfältig ausgearbeitet. Gerade deshalb findet man ihn so häufig in der PR oder der Werbung (Frankfurt bezeichnet einige Fälle daraus sogar als klassische Beispiele dieses Genres.)

Philosophisch interessant wird das Thema vor allem in Bezug auf den Begriff der Wahrheit. Frankfurt stellt heraus, dass der Bullshiter kein Lügner ist, denn der Lügner hat ein Verhältnis zur Wahrheit: Er kennt sie, spricht sie aber nicht aus, sondern verschweigt sie bewusst. Bullshit indes hat gar kein Verhältnis zur Wahrheit, Bullshit verhält sich zu ihr absolut gleichgültig. Daher ist der Bullshiter auch gefährlicher als der Lügner. Weil ihm alles egal ist.

Bullshit in den sozialen Medien

Soziale Medien in ihrer heutigen Ausprägung, geprägt von Algorithmen, getrieben von Reichweite, sind der ideale Nährboden für Bullshit. Denn oft (ich nehme mich hier auch nicht immer aus) verführt die Funktionsweise von Social Media uns Menschen dazu, am Bullshit-Produzieren zu partizipieren, obwohl wir das im echten Leben vielleicht nicht machen würden. Zumindest wäre die Menge der Empfänger viel kleiner und wir könnten uns nicht hinter einer Online-Anonymität verstecken.

Frankfurt schreibt: “Bullshit ist immer dann unvermeidbar, wenn die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen. […] Diese Diskrepanz findet sich häufig im öffentlichen Leben, in dem Menschen sich - aus eigenem Antrieb oder auf Anforderung anderer - oft gedrängt sehen, sich eingehend über Gegenstände auszulassen, von denen sie wenig Ahnung haben.”

In sozialen Medien fühlen sich viele Menschen genötigt, mitzumachen, ihre Meinung zu äußern. Vielleicht auch aus Gründen wie FOMO oder den Fünf Minuten Ruhm im Netz - nicht zuletzt aber wegen des möglichen Zuspruchs, den sie im privaten Umfeld nie bekämen. Oder einfach aus dem Grund, weil vor ihnen ein Thema aufpoppt, das sie triggert und der Kommentar-Button so einfach zu erreichen ist. Nie war es einfacher, Dinge ins Netz zu schreiben, gesehen zu werden und zum vermeintlichen Experten in einem Thema aufzusteigen. Die extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne der User in den sozialen Medien und nicht zuletzt die schiere Masse sind dann die kritischen Zutaten, die dem Bullshit Tür und Tor öffnen.

Musste man in einem Online-Forum oder einer anderen frühen Interaktionsform des Netzes noch eine gewisse Reputation aufbauen um gelesen zu werden, reicht jetzt ein Ein-Zeiler zu einem Trigger-Thema. Wer möchte, bekommt so schier unendliche Aufmerksamkeit.

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